Geschichte

Theresa Hauck von der Bezirksheimatpflege gibt einen kurzen Überblick über die Geschichte der Psychiatrie in Schwaben:

vor 1849

Psychisch kranke Menschen wurden, so gut es ging, in ihren Familien versorgt. Darüber hinaus gab es bereits seit dem Mittelalter Einrichtungen, die sich um Hilfesuchende kümmerten. So wurden sie in Spitälern, Seelhäusern, „Narrenstuben“, Arbeitshäusern aber auch in Gefängnissen untergebracht.

Die Medizin war in Bezug auf die Behandlung psychischer Erkrankungen noch nicht sehr weit fortgeschritten. Man wusste noch zu wenig über psychische Krankheiten und konnte sich vieles nicht erklären.

Das änderte sich erst im Zuge der Aufklärung. Anfang des 19. Jahrhunderts etablierte sich die Psychiatrie als medizinische Wissenschaft. „Irre“ wurden nun als krank und damit als behandlungsbedürftige Patientinnen und Patienten anerkannt. Ihre Krankheitsbilder wurden systematisch erforscht.

1849 – Der Beginn der institutionalisierten Psychiatrie in Schwaben

Leider haben wir keinen Alternativtext zu diesem Bild, aber wir arbeiten daran.
Die Kreis-Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren nach den Plänen des königlichen Kreisbaurates Freiherr von Stengel aus dem Jahr 1876.

Psychisch kranke und körperlich oder geistig behinderte Menschen mit möglichst wenig Zwang zu versorgen, war das Ziel der ersten psychiatrischen Anstalt in Bayerisch-Schwaben. Hierfür wurden seit den 1830er Jahren die Gebäude der säkularisierten Benediktinerabtei Irsee umgebaut. Am 1. September 1849 ging in Kloster Irsee die erste schwäbische „Kreis-Irren-Anstalt“ in Betrieb.

Von Anfang an bot die Anstalt zu wenig Platz für all die Menschen, die dort versorgt werden sollten. Deshalb wurde bald der Bau einer neuen Anstalt geplant. Diese wurde am 1. August 1876 als „Kreis-Heil- und Pflegeanstalt bei Kaufbeuren“ eröffnet. Irsee blieb als Zweigstelle bestehen.

Die Industrialisierung mit ihren gesellschaftlichen Umwälzungen sowie ein Bevölkerungswachstum mit sozialer Verelendung in Ballungsräumen führten dazu, dass psychisch Kranke mehr und mehr an den Rand der Gesellschaft gerieten. Die eigene Familie, aber auch die Armenfürsorge konnten die Menschen, die Unterstützung brauchten, nicht mehr aufnehmen. So waren bald schon die beiden Standorte Irsee und Kaufbeuren überfüllt. 1915 wurde deshalb eine weitere schwäbische „Heil- und Pflegeanstalt“ in Günzburg eröffnet.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte dazu, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anstalten zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Es kam zu Versorgungsmängeln, Rationierungen, Personalengpässen und Therapiebeschränkungen.

Um das verbliebene Personal zu professionalisieren, begann an den Standorten Kaufbeuren und Günzburg in den 1920er die systematische Ausbildung von Pflegekräften in eigenen, staatlich anerkannten Krankenpflegeschulen.

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Krankenpflegelehrgang 1922/1923 an der Pflegeanstalt Irsee/Kaufbeuren

Psychiatrie in der NS-Zeit

Mit der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus kam es zu einschneidenden Veränderungen für psychisch Kranke und Menschen mit Behinderungen. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 erlaubte Zwangssterilisationen, über die „Erbgesundheitsgerichte“ entschieden. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 radikalisierte sich die Drangsalierung psychisch erkrankter, körperlich oder geistig behinderter Menschen nochmals: Statt Heilung und Pflege zu bekommen, erlitten hunderttausende Patientinnen und Patienten bis 1945 einen gewaltsamen Tod. Zahlreiche Frauen, Männer und Kinder wurden Opfer von „Euthanasie“-Maßnahmen in Form von Deportationen („Aktion T4“), Hungerkuren („E-Kost“) oder tödlichen Medikamentengaben.

Sowohl von Kaufbeuren und Irsee aus, als auch von Günzburg wurden Patientinnen und Patienten in Sammeltransporten (den sogenannten „grauen Bussen“) abgeholt und in Tötungszentren verlegt, wo sie noch am Tag ihrer Ankunft durch Gas ermordet wurden. Da diese zentral organisierten Verlegungen nicht lange geheim gehalten werden konnten, wurde die sogenannte „Aktion T4“ im August 1941 gestoppt. Die Patientenmorde aber hörten damit nicht auf. Vielmehr starben die Menschen nun durch bewusste Vernachlässigung, durch Hungerkost, unhaltbare Hygienezustände und überdosierte Medikamente in den Anstalten selbst.


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Nachkriegszeit

Nach Kriegsende änderten sich die Verhältnisse in den Anstalten zunächst kaum. Die Täter – Ärzte, Pflegepersonal und Verwaltungsangestellte – kamen oft mit empörend geringen Haftstrafen davon. Eine kritische und offene Auseinandersetzung mit den NS-„Euthanasie“-Verbrechen in den eigenen Häusern fand zunächst nicht statt.

Medizinisch wurden erst in den 1950er Jahren neue Diagnose- und Therapiemethoden entwickelt. Beispielsweise ermöglichte die Einführung von Psychopharmaka eine Alternative zu vorherigen Behandlungsmethoden wie Eisbädern, Insulinschock- oder Elektrokrampf-Therapien. Ende der 1960er Jahre setzten sich Psychopharmaka flächendeckend durch. Damit einher gingen Neustrukturierungen von Arbeits- und Beschäftigungstherapien.

Psychiatrie-Enquête und -Reform

Bis in die 1970er Jahre wurden psychisch kranke Menschen in großen, zentralen Einrichtungen (den sogenannten „Anstalten“) behandelt. 1975 legte ein vom Deutschen Bundestag beauftragter „Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland“ die Missstände in diesen Kliniken offen. Erst dadurch wurde eine grundsätzliche Erneuerung der Psychiatrie in Gang gesetzt. Dezentralisierung, Enthospitalisierung, die Verkleinerung der Klinikstandorte und der Aufbau eines ambulanten sowie teilstationären Angebots waren zentrale Forderungen.

1980 wurde der erste Bayerische „Landesplan zur Versorgung psychisch Kranker und psychisch Behinderter“ veröffentlicht, zehn Jahre später ein „Zweiter Bayerischer Psychiatrieplan“. Parallel dazu wird das ambulante Pflegeangebot ausgebaut. 1989 wurde das Bezirkskrankenhaus (BKH) in Augsburg in Betrieb genommen, weitere Standorte in Bayerisch-Schwaben wie Donauwörth, Memmingen, Kempten und Lindau folgten. 

Die psychiatrische Krankenversorgung wird heute als wichtiger Teil der Gesamtmedizin begriffen. Im Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz von 2018 ist eine regelmäßige Psychiatrie-Berichterstattung verankert. Seitdem hat die bayerische Staatsregierung dem Landtag alle drei Jahre über die Situation der psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Versorgung in Bayern zu berichten.

Die einzelnen Häuser in Schwaben entwickeln sich zu modernen Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Sie halten ein differenziertes, diagnose- und bedarfsgerechtes Behandlungsangebot im stationären, teilstationären und ambulanten Setting in Akutversorgung, Nachsorge und Prävention vor.

Detaillierte Informationen zur Geschichte der einzelnen Standorte und Kliniken finden Sie bei den Bezirkskliniken Schwaben sowie beim Tagungs-, Bildungs- und Kulturzentrums Kloster Irsee des Bezirks Schwaben.